Zwei gesunde Nieren erzeugen pro Minute ca. 100 ml eines Filtrats aus dem Blut. Dafür gibt es Schätzungen zufolge ca. 1 Million Nierenfiltrationskörperchen (Glomeruli) pro Niere. In jeder Stunde sind das 100ml x 60min = 6000ml = 6l. Unsere Nieren filtrieren also normalerweise 6l pro Stunde. Natürlich ist dies nur der erste von vielen Schritten. Im sogenannten Tubulusapparat erfolgt danach ein „Recycling“-Prozess, bei dem aus dem Filtrat (6l/h) bedarfsgerecht das zurückgeholt wird, was noch gebraucht werden kann. Der Blutwert Kreatinin dient letztlich nur dazu, diese glomeruläre Filtrationsrate (GFR) abzuschätzen. Korrekt heißt es dann eGFR: estimated GFR.
Die internationale Fachgesellschaft KDIGO hat verschiedene Filtratsraten danach klassifiziert, wie groß das Risiko ist, dialysepflichtig zu werden.

Als chronisch nierenkrank gilt nach KDIGO, wer 3 Monate lang eine eGFR <60ml/min/1.73m2 hat. Allerdings gibt es ein Problem: die Nierenfiltrationsrate ist nicht bei allen Menschen gleich: So gehen im Laufe des Lebens gehen sukzessive Nierenköperchen zugrunde. Ein normaler Vorgang, vergleichbar mit dem männlichen Haarausfall im Alter.
Mit dem oben genannten Klassifikationssystem hätte sowohl ein 18-Jähriger Mann mit einer GFR von 62 ml/min/1,73m2 als auch eine 85-jährige Frau dieselbe Nierenfunktionseinschränkung, nämlich CKD im Stadium G2.
Aber: haben diese zwei unterschiedlichen Menschen auch tatsächlich dasselbe Risiko, zu Lebzeiten eine terminale, dialysepflichtige Nierenerkankung zu erleben? Vermutlich nicht. Zwei neue Arbeiten zeigen auf, dass ein Verlust der GFR im Alter normal ist und nicht zwingend eine Krankheit darstellt.

Während also eine eGFR von 62 ml/min/1.73m2 für einen 18-jährigen keinesfalls normal ist, sieht es mit 85-Jahren anders aus: Grob geschätzt liegt die Dame damit auf der 10-25. Perzentile. Das bedeutet: zwischen 10 und 25 % der Gleichaltrigen habe eine schlechtere, zwischen 90 und 75% der Gleichaltrigen haben eine bessere Nierenfunktion.
Ganz ähnlich sieht für mich eine weitere, große Studie aus, diese wurde ebenfalls in Kidney International veröffentlicht. Über 1,5 Millionen Datensätze wurde ausgewertet.

Was bedeuten die neuen Daten?
Die Einschätzung der Nierenfunktion wird sich in der kommenden Zeit immer weiter personalisieren müssen. Das Stichwort ist „personalisierte Medizin“. Die bisherigen, starren Kriterien sind nicht auf alle Menschen, insbesondere Ältere, ohne Weiteres anwendbar.
Wo spielen die Erkenntnisse eine Rolle?
- Risikoabschätzung
- Beurteilung der Spenderfähigkeit: Kann ich eine Niere spenden, ist meine Nierenfunktion gut genug?
- In der Verlaufskontrolle einer bekannten, chronischen Nierenerkrankung spielen diese Erkenntnisse keine große Rolle.